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Carlo G. Reßler

Zittern ist eine Lösung: Wirksame Traumaheilung durch Körperübungen

Dass wir Menschen uns grundsätzlich an viele Ereignisse aus unserem Leben gut erinnern können, gilt meist als selbstverständlich. Dass jedoch auch unser Körper sein ganz "eigenes Gedächtnis" hat, erscheint vielen Zeitgenossen als eher unwahrscheinlich. Dieses für eine ganzheitliche Gesundheit sehr wichtige "Körpergedächtnis" wird daher auch wenig ernst genommen und in herkömmlichen Psychotherapieformen meistens ignoriert.

Doch wenn nach einer mehrjährigen Gesprächs- oder Verhaltenstherapie Symptome wie Schlaflosigkeit, Alpträume, Selbst- oder Fremdaggressivität, Panikattacken, Zähneknirschen, Depressionen oder Schreckhaftigkeit weiter Bestand haben, lohnt es sich den Blick auch einmal in eine andere Richtung zu lenken. Spätestens dann ist es sinnvoll auch die innere Weisheit des Körpers zu aktivieren und die Körperstrukturen der Betroffenen mit in den therapeutischen Prozess einzubeziehen.

Denn eine Ursache für die genannten Symptome, zu denen auch chronische Muskelverspannungen und Konzentrationsschwierigkeiten zählen können, sind häufig sog. "Posttraumatische Belastungsstörungen" (PTSP). Diese Beschwerden sind oft noch Jahrzehnte nach traumatischen Ereignissen wie Unfälle, Schockerlebnisse, Missbrauch, Schläge in der Kindheit, uvm. im Körpergedächtnis gespeichert und können lebenslang belastend weiter wirken, wenn keine entsprechende Auflösung geschieht. Entsprechende Lockerungsmassagen, oder therapeutisch darüber zu reden und ein anderes Alltagsverhalten einzuüben, bringt selten dauerhafte Erfolge. Dies führt bei den Betroffenen im Gegenteil eher zur Resignation, wenn trotz aller Bemühungen die Beschwerden weiter bestehen bleiben.


Die Weisheit des Körpers entdecken

Dass jeder Geist in seinem ihm typischen Körper wohnt – und natürlich auch umgekehrt, gilt in der Körpertherapie als Tatsache. Die Forschungen reichen hier bis zur Charakteranalyse von Wilhelm Reich zurück. Er erforschte als Erster die damals so genannten "Körper- und Muskelpanzerungen" und ihre Auswirkungen auf den gesamten Organismus. Erweitert und verfeinert hat diese bahnbrechenden Forschungen der Reich-Schüler Dr. Alexander Lowen. Er entwickelte bereits in den 50iger Jahren die anerkannte Therapieform "Bioenergetische Analyse", welche sich intensiv den körperlichen Spannungsmustern und persönlichen Abwehrhaltungen zuwendet.

Der zugrunde liegende Ansatz dieser effektiven Therapie geht davon aus, das Menschen, die sich in schmerzlichen Situationen befinden, sich innerlich zurückziehen. Dies geschieht oft innerlich autonom durch Anspannung der Muskulatur sowie mit eingeschränkter, flacher Atmung. Dauert ein solcher Zustand an, z. B. durch ständige Gewaltdrohungen in der Kindheit ("Wenn Du nicht X tuest, gibt es was hinter die Ohren"; oder "Wenn Du nicht brav bist,...wird Papa böse!"), dann wird die Verspannung mit der Zeit chronisch und unbewusst. Denn ein Kind versucht immer den Eltern zu gefallen, da sonst Liebesentzug droht. Damit verspannt es sich automatisch auch körperlich, Verspannungen die bestehen bleiben. Dies kann in späteren Jahren z.B. zu dauerhaften Nacken- oder Rückenschmerzen führen, oder auch zu Verdauungsstörungen. In der Bioenergetikarbeit nach Dr. Lowen wird die Auflösung solch chronischer Verspannungen über körperlichen Gefühlsausdruck, Atem, Erdung, Stimme, Anspannung und Entladung erreicht; und danach die Neuaktivierung des natürlichen, vibrierenden Lebensflusses angestrebt. Jahrzehntelang blockierende Verspannungen lösen sich allmählich auf, sodass ungeahnte Energien, Vitalität und Lebensfreude wieder frei fließen können.


Zittern als bioenergetische Traumatherapie

Aus dem oben beschriebenen Ansatz heraus und speziell für die Therapie von traumatischen Lebensereignissen entwickelte der bioenergetische Psychotherapeut und klinische Sozialarbeiter David Berceli ein umfassendes Trauma-Bearbeitungsprogramm. Seine Erkenntnis aus jahrelangen Forschungen war, das speziell posttraumatische Belastungsstörungen sehr tief körperlich gespeichert sind und eine eigene Auflösung bedürfen. David Berceli hat lange in Kriegs- und Krisengebieten gearbeitet und das Verhalten der Menschen dort erforscht, parallel dazu auch das Instinktverhalten von Tieren nach Bedrohungen. Hierdurch hat er äußerst wertvolle therapeutische Erkenntnisse gewonnen.

Bei einer Traumatisierung lädt sich der Körper mit extremer Erregung auf, was durch einen Anstieg chemischer Botenstoffe im Blutkreislauf bewirkt wird. Diese Botenstoffe wiederum aktivieren ein spezielles Muskelsystem, welches von den Beinen bis zum Kiefer reicht. Die Aufgabe dieser Körpererregung ist eine unmittelbare, spontane Schutzreaktion. Dieses Reaktionsmuster ist bei allen Menschen und Kulturen stets gleich. Das Muster wird durch unbewusste, instinktive Schutzmechanismen des sog. "menschlichen Tierinstinktes" hervorgerufen und veranlasst den Menschen während eines traumatischen Ereignisses entweder zu kämpfen, zu flüchten oder zu erstarren.

Im Falle einer erfolgreichen Handlung und überstandener Gefahr, entladen die Muskeln die chemische Reaktion vollständig und der Körper kehrt bald darauf in den Ruhezustand zurück. Wird diese Entladung jedoch verhindert, werden posttraumatische Belastungsreaktionen erzeugt, d. h. der Körper bleibt kontinuierlich im Stresszustand! Ein ständiger chemischer Erregungszustand, der den Körper dazu unbewusst veranlasst, Bestandteile des seinerzeit traumatischen Ereignisses ständig zu wiederholen (Re-Inzenierung). Dies ist ein innerer Versuch, die ursprüngliche Reaktion über die Entladung der Anspannungsenergie des vergangenen, jedoch nicht entladenen, Traumatas zu vervollständigen. Gleichzeitig speichert der Körper die Gefühle, Erinnerungen und Gedanken zu dem belastenden Ereignis, um diese zu einem späteren Zeitpunkt zu verarbeiten. Im schlimmsten Fall kommt dieser Zeitpunkt nie und der Körper bleibt in einem zwanghaften Wiederbelebungsgefühl gefangen: eine Art Rückkopplungsschleife, die die Person in einer psychophysischen Gefangenschaft hält, denn dieser versucht ständig die Selbstverteidigungsenergie zu entladen, dies kann jedoch ohne gezielte Hilfe niemals gelingen!


"Die Gefahr ist vorbei, du kannst loslassen!"

Um dieses neuronale Muster zwischen Verteidigung und Schutz zu verändern – und in die Ruheform zurückzukehren, fehlt dem Gehirn und dem Körper der passende Schlüssel. Doch der Körper kann auf recht einfache Weise in die Lage versetzt werden, die beschriebene Permanentschleife aufzulösen, dies hat David Berceli in seinen Arbeiten herausgefunden. Diesen Schlüssel bezeichnet er als "neurogenen Tremor" (das Zittern). Tief empfundenes Zittern ist bei Tier und Mensch die natürlichste Form, extreme (traumatische-) Erregung wieder zu entladen. Damit kann der Organismus sich sozusagen selbst reinigen.
Viele Menschen und Kulturen scheinen diese ursprüngliche Entladungsform vergessen zu haben, doch deuten Redensarten wie "Ich zitterte vor Wut", "Mir zittern die Hände" oder "Vor Angst zitterten mir die Knie", darauf hin, dass neurogene Zittererfahrungen weit verbreitet sind. Auch bei vielen Säugetierarten ist dieses spannungsabbauende Verhalten nach einer Gefahr sehr deutlich zu beobachten. Tief erlebtes Zittern kann also das lösen, was Menschen in dem Satz "Ich war vor Angst wie gelähmt!", sehr treffend ausdrücken: die muskuläre Erstarrung.

David Berceli fand heraus, das dieser Entladungstremor vom Zentralnervensystem in körpereigener Weisheit gesteuert wird und genau das vorherige Spannungsmuster auflöst. Ursprung dieses Prozesses ist der Psoas-Muskel, welcher tief im Becken sitzt und als Kampf-Flucht-Muskel betrachtet werden kann.

Während traumatischer Erfahrungen kontrahiert dieser Muskel um den Unterleib zu schützen. Zur Aktivierung dieses und anderer tief sitzender Muskeln - und damit der neuronalen Entladung vom Becken zu den Füßen und vom Becken über Wirbelsäule bis zum Kiefer - hat er einen speziellen Übungszyklus entwickelt. Hierdurch werden die festgehaltenen Spannungen geradezu ausgeschüttelt. Das durch diesen Übungszyklus aktivierte organismische Zittern sagt Gehirn, Gefühl und Körper in etwa: "Die Gefahr ist vorbei, Du kannst wieder loslassen!"

So kann eine ganz natürliche Lösung des im Körper gefangenen traumatischen Zustandes geschehen. Sämtliche betroffene Muskelpartien werden nachhaltig gelockert. Dies geschieht durch bestimmte Anspannungsübungen, die im Stehen und in Rückenlage aktiviert werden, um danach autonom, von innen heraus, sich über Zittern und Schütteln selbst zu entladen.

Die Übungen mit Elementen aus Yoga, Bioenergetik, Tai Chi und anderen Techniken werden als eigener, bestens bewährter Zyklus von sieben Stufen zusammengefügt. Dieser Übungszyklus wird vom Klienten unter erfahrener therapeutischer Betreuung erübt, und die dabei auftretenden Gefühle behutsam integriert. Ist der Prozess nach einer Weile stabil, werden die Traumaübungen später regelmäßig in Eigenregie durchgeführt. Für Klienten mit starkem Zähneknirschen (Bruxismus) gibt es entsprechende Zusatzübungen.

Es kann einige Wochen bis mehrere Monate dauern, bevor so auch hartnäckige alte Spannungsmuster aufgelöst worden sind. Die betroffene Person spürt jedoch schon sehr schnell eine tiefe Erleichterung: Stimmung und Schlaf verbessert sich; Rücken-, Kiefer- und sonstige Muskelschmerzen lassen rasch nach und lösen sich später ganz auf, natürliche Lebendigkeit kehrt zurück! Die zuvor traumatisch dauerhaft angespannte Körpermuskulatur erhält durch die beschriebene wertvolle Hilfe, quasi die Erlaubnis sich selbst auf natürlichem Wege zu heilen und mit körpereigener Weisheit die meist chronischen Verspannungen aufzulösen. Hört Mensch auf diese innere Weisheit können sich seine persönlichen Stärken, Kreativität und Körperkompetenz wieder befreien, sie sind die essentielle Nahrung für das persönliche Wohlbefinden.


Buchtipps:
Peter Levine – Trauma-Heilung. Die Erfahrung des Tigers
David Berceli – Körperübungen für die Traumaheilung
Babette Rothschild – Der Körper erinnert sich




Autor des Artikels und inhaltlich verantwortlich:
Carlo G. Reßler

Datum des Eintrags: 01.11.10  

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